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Ausstellen als …

Bilder eines künstlerischen Handlungsfelds von Gudrun Ratzinger und Franz Thalmair Friedrich Kiesler publizierte 1925 in der Kunstzeitschrift „De Stijl“ in zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen Ausstellungsansichten. Im ersten Beitrag lag der Fokus auf der von ihm entworfenen Ausstellungsarchitektur, in der es 600 Objekte wie Entwurfszeichnungen, Plakate, Fotografien, Figurinen und Modelle zum zeitgenössischen Theater zu präsentieren galt. Dieses Leger- und Trägersystem aus horizontalen und vertikalen Präsentations flächen ermöglichte es, die Exponate so anzuordnen, dass sie autonom oder im Kontext mit anderen betrachtet werden konnten. Kieslers zweiter Beitrag in derselben Ausgabe von „De Stijl“ war hingegen ein urbanistisches Manifest. Die in den Ausstellungsansichten dokumentierte Architektur fungierte in diesem Fall als Modell für eine zukünftige Raumstadt, ein neuer Typ urbaner Siedlung, die dem Visionär zufolge „die Lösung des Verkehrs- und Hygieneproblems bringen [würde], die Mannigfaltigkeit des Privatlebens ermöglichen und die Freiheit der Masse“.1 Ein und dieselbe Architektur hatte innerhalb von Kieslers Argumentation also sowohl die Funktion eines Ausstellungsdisplays wie auch eines autonomen Anschauungsobjekts. An Friedrich Kieslers Ausstellungsgestaltungen lässt sich die Bandbreite dessen darlegen, was der Begriff des „Ausstellens“ alles zu umreißen vermag. An Friedrich Kieslers Ausstellungsgestaltungen lässt sich die Bandbreite dessen darlegen, was der Begriff des „Ausstellens“ alles zu umreißen vermag: Es geht um das Aufgreifen von Gelegenheiten, das Schaffen von Räumen und das Generieren von Situationen, damit Personen und Objekte überhaupt aufeinandertreffen können. Des Weiteren geht es um Netzwerke, um die Auswahl künstlerischer Positionen, um die Präsentation von Einzelwerken und die Sichtbarmachung von Zusammenhängen. Und schließlich geht es um die Arbeit an der Form der Ausstellung selbst und damit, um die Gestaltung der Verhältnisse zwischen dem, was zu sehen ist, und denjenigen, die das Gezeigte mit all ihren Sinnen wahrnehmen.


Wie Künstler *innen das Ausstellen sowohl anwenden als auch gleichzeitig reflektieren steht im Zentrum dieses Themenheftes. Dabei ist der Blick zu den Anfängen des Ausstellens als künstlerische Praxis aufschlussreich. Denn selbst zu einer Zeit als Begriffe wie „Installation“ oder „Kuratieren“ gänzlich andere Bedeutungen hatten, befragten Künstler*innen die Spezifika des Ausstellens im Medium der Ausstellung selbst. Dieses autoreflexive Moment lässt sich ein paar Jahrzehnte nach Friedrich Kieslers „Raumstadt“ auch bei Richard Hamiltons und Victor Pasmores „an Exhibit“ (1957) finden. Diese Ausstellung im Londoner ICA bestand aus vorfabrizierten, farbigen und transparenten Acrylplatten, die in unterschiedlichen Höhen von der Decke abgehängt und parallel zu den Wänden angeordnet waren. Das Setting, durch das sich Besucher *innen frei bewegen konnten, erinnert an modernistische Ausstellungsgestaltungen – allerdings ohne Exponate. Hamilton führt die Idee zu „an Exhibit“ [04] auf eine Aussage von Pasmore zurück, der über Hamiltons Ausstellung „Man, Machine, Motion“ (1955) [03] gesagt haben soll, dass sie sehr gut gewesen wäre, hätte es nicht all diese Fotos gegeben. Als sich etwas später für die beiden Künstler die Gelegenheit zur Zusammenarbeit ergab, schlug Hamilton die Realisierung einer Ausstellung vor, die nur für sich stünde: „kein Thema, kein Gegenstand; keine Zurschaustellung von Dingen oder Ideen – eine rein abstrakte Ausstellung“.

Wie bei Kieslers Beiträgen in „De Stijl“ geht es bei „an Exhibit“ also nicht nur um das, was gezeigt wird, sondern auch um das, was ausgeblendet, was nicht gezeigt wird. So wird das Display ohne Exponate das eine Mal zu einem begehbaren Modell der „Raumstadt“, das andere Mal zu einem „Spiel / Kunstwerk / Environment“, das „gespielt / betrachtet / bevölkert“3 werden kann. In beiden Fällen stehen nicht nur gängige Vorstellungen von künstlerischer Autonomie, Autorschaft und in sich geschlossenem Kunstwerk zur Diskussion, sondern die Ausstellung selbst wird als eigenständige künstlerische Ausdrucksform sichtbar, wenn das Display zum Demonstrationsobjekt und Ausstellungsstück wird. Werk und Beiwerk Das Ausstellen ist vom Kunstschaffen nicht wegzudenken. Selbst wenn Werke keine Öffentlichkeit brauchen, um als solche zu existieren, werden die meisten Arbeiten gemacht, um – zumindest potenziell – in Ausstellungen gesehen und diskutiert zu werden. Als temporäre Zusammenstellungen von Kunstwerken können Ausstellungen weder gesammelt werden, noch verdankt sich ihre Gestalt einer einzigen Autor *in. Dass Ausstellungen daher mit all ihren organisatorisch-administrativen Abläufen in der wissenschaftlichen und kunstkritischen Analyse häufig als Beiwerk übersehen wurden, verwundert also nicht.4 Doch selbst klassische Skulpturen oder Gemälde waren, wie Juliane Rebentisch betont, niemals indifferent gegenüber ihrem Präsentationszusammenhang. Bei installativer Kunst spitzt sich das Verhältnis zur räumlichen Umgebung sogar noch zu, da sie „die Destabilisierung der Grenze zwischen dem Werk und seinem Außen, dem Eigentlichen und den Uneigentlichen, dem Werk und dem rahmenden Beiwerk sehr buchstäblich, nämlich im Blick auf den Zusammenhang von Werk und Ausstellungskontext, reflektiert“.5 Die bei installativen Werken in Bewegung geratenen Grenzen zu ihrem jeweiligen räumlichsituativen Kontext gelten auch für Ausstellungen. Diese Beobachtung führte ab den späten 1980er-Jahren zu einer grundlegenden Neukonzeption dieses Formats, bei dem sich gestalterische Elemente als genauso relevant erweisen, wie inhaltliche, von Vermittlungsangeboten getragene oder administrative Entscheidungen: „Vom Sicherheitssystem und Habitus der BetreuerInnen oder BesucherInnen bis zu den Eintrittstarifen und Öffnungszeiten der Galerie – sämtliche ein- und ausschließenden Faktoren, Gestaltungskomponenten und inhaltlichen Vorgaben einer Ausstellung greifen ineinander und werden, selbst oder gerade dann, wenn sie offensichtlich fehlen, Teil eines narrativen Ganzen.“6 BILDER DES AUSSTELLENS Texte als Modelle für Ausstellungen zu begreifen, ist naheliegend: Beide bestehen aus distinkten Elementen, die – in einen räumlichen wie zeitlichen Zusammenhang gebracht – ihre Bedeutung in Relation zu anderen Elementen erhalten. Ausstellungen so aufzufassen liegt insbesondere dann auf der Hand, wenn sie Werke verschiedener Kunstschaffender inkludieren. Denn selbst ein Text, der sich lediglich einer Autor *in verdankt, besteht Roland Barthes zufolge bereits „aus einem mehrdimensionalen Raum, in dem vielfältige Schreibweisen, von denen keine ursprünglich ist, miteinander harmonieren oder ringen: Der Text ist ein Geflecht von Zitaten“.7 Folgt man Barthes’ Ansicht, dass Schriftersteller *innen lediglich vorhandene Ausdrucksformen neu kombinieren können, verliert in Analogie dazu, auch die Unterscheidung zwischen jenen Formen des Ausstellens an Bedeutung, die Werke verschiedener Künstler *innen versammeln und jenen, bei denen das Gezeigte von eine*r Künstler *in stammt. Eine Vielfalt an künstlerischen Handlungen rückt so in den Fokus, die von der Arbeit an den Grundlagen des Ausstellens, über kuratorische Tätigkeiten bis hin zu installativen Setzungen reichen.8 In der der vorliegenden Ausgabe von KUNSTFORUM International wollen wir mit der Verlagerung des Fokus von der Ausstellung (als Substantiv) zum Ausstellen (als Verb) nicht die Praxis (als Tätigsein) gegen die Produktion (als Hervorbringung eines Produkts) in Stellung bringen.9 Vielmehr nimmt unser Beitrag jene Phänomene in den Blick, bei denen es um Beziehungen und Prozesse geht: Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten sowie Prozesse an der Schnittstelle von der Produktion und der Rezeption von Kunst. Wir möchten damit anregen, die Verfahren des Ausstellens auch mit anderen Vorstellungsbildern als dem eines Textes zu fassen. „Ausstellen als …“ ist der Versuch, anhand konkreter Beispiele die Vielfalt darzustellen, wie Ausstellen nicht nur konzipiert, sondern in erster Linie auch praktiziert wird. Die künstlerischen Positionen und die ihnen zugeordneten theoretischen Kontexte fungieren dabei wie Exponate, die einander ergänzen und kommentieren oder widersprechen. Im Folgenden geht es um das Ausstellen … … als Schaustellen, … als Instituieren, … als Versammeln, … als Zirkulieren, … als Zusammenwirken von Dingen, … als Forschen, … als Aggregieren, … als Montieren und … as curators do? … ALS SCHAUSTELLEN 05 Marcel Broodthaers, L’Angélus de Daumier, 1975, Ausstellungskatalog mit adaptiertem Cover des Comics Le Nouvelles Aventures des Pieds Nicklés von 1933, © The Estate of Marcel Brood thaers / Bildrecht, Wien, 2020, Courtesy: Mumok, Wien Marcel Broodthaers beendete jede Beschreibung eines von ihm zusammengestellten Raumes im Katalog „L’Angélus de Daumier“ (1975) [06] mit „nouveaux trucs, nouvelles combines“ [neue Tricks, neue Schwindeleien]. Diese Worte fungieren als Kürzel dafür, bestehende Werke so zu präsentieren, dass sie in ihrem neuen Kontext etwas Neues bedeuteten: „Ich versuchte, verschiedene Objekte und […] Gemälde zu gliedern, um Räume in einem Geist des ‚décor‘ zu formen. Das heißt, dem Objekt oder Gemälde eine wirkliche Funktion zurückzugeben.“10 Innerhalb eines décors würde der Gegenstand, dem Künstler zufolge, seinen künstlerischen Wert verlieren und einem Zweck untergeordnet.11 Broodthaers behandelte damit seine eigenen Werke so, wie kulturhistorische Gegenstände ausgestellt werden: Sie werden dekontextualisiert, um anschließend in ein neues Narrativ gesetzt zu werden. In diesem neuen Kontext erfüllen die Exponate eine Funktion, sie stehen für etwas und lassen sich unabhängig von ihrem ursprünglichen Gebrauch neu begreifen. Mit diesem Ansatz richtete sich Broodthaers gegen die Vorstellung des autonomen Kunstwerks, dessen Bedeutung sich anhand seiner (chronologischen) Position innerhalb eines künstlerischen Œuvres erschließt. „L’Angélus de Daumier“ bestand aus neun Räumen. In der „Salle verte“ [05] war eine adaptierte Wiederaufnahme von „Un jardin d’hiver“ zu sehen. Die „Salle blanche“ war eine Rekonstruktion einer Sektions des „Musée d’Art Moderne, Départment des Aigles“ (Brüssel 1968), wobei an die Stelle von Objekten Wörter traten. Die „Salle bleue“ bestand aus einer Neugruppierung von früheren Werken und die „Salle rose” war ein Wohnraum, der noch die ursprüngliche Ausstattung der Familie Rothschild enthielt und als „Museum“ im Kontext dieser Ausstellung zu besichtigen war. „L’Angélus de Daumier“ wies damit Brüche auf, die laut Broodthaers „der Methode des Filmschnitts“ glichen.12 Der Künstler versuchte nicht nur im Medium der Ausstellung, filmische Effekte zu erzielen, sondern er nutzte Ausstellungsorte auch als Filmsets. So lieh er sich 1974 vom Antwerpener Zoo ein Kamel, das er in das Palais des Beaux-Arts in Brüssel führen ließ, in dem gerade die erste Version von „Un jardin d’hiver“ zu sehen war. Als Teil einer Gruppenausstellung inszenierte Broodthaers dort einen Galerieraum als Wintergarten – inklusive Palmen, fotografischen Reproduktionen von zoologischen Drucken aus dem 19. Jahrhundert und Gartenstühlen, auf denen Besucher *innen Platz nehmen konnten. Seine décors dienten so ganz offensichtlich einem Zweck. 06 Marcel Broodthaers, Salle verte, 1975, Ausstellungsansichten im Katalog L’Angélus de Daumier, © The Estate of Marcel Broodthaers / Bildrecht, Wien, 2020, Courtesy: Mumok, Wien Indem Broodthaers auf Orte des Ausstellens und Vergnügens wie bürgerliche Salons, Wintergärten und Zoos verweist, erinnert er nicht nur an die Geschichte dieser Institutionen, sondern auch an deren Verflochtenheit mit dem europäischen Kolonialismus. Dass sich diese Referenzen nicht auf formale Analogien oder nostalgische Reminiszenzen beschränken, macht eine Vignette deutlich, die auf dem zweiten Band des Ausstellungskatalogs von „L’Angélus de Daumier“ zu finden ist. Es ist das Cover eines beliebten französischen Comics auf dem ein Schausteller im Kontext einer „Völkerschau“ zu sehen ist. „[N]ouveaux trucs, nouvelles combines“ so ist auf diesem Cover zu lesen. Broodthaers führt damit das Ausstellen von Kunst mit seinem zweifelhaften Cousin des Schaustellens eng, wobei er selbst die Rolle des Schwindlers und des Tricksers einnimmt. … ALS INSTITUIEREN Dass das Ausstellen nicht getrennt von den Räumen und Kontexten betrachtet werden kann, in denen es sich vollzieht, ist spätestens seit der Institutionskritik der 1970er- und der 1990er-Jahre deutlich. In dieser Nachfolge steht der 2005 als Kunst-am-Bau-Projekt entstandene Kunstraum Lakeside in Klagenfurt. Mit „Gestaltung des Kunstraum Lakeside“ [07] legte der österreichische Künstler Josef Dabernig nicht nur die architektonisch-gestalterischen Parameter dieses Kunstprojekts und Kunstraums fest, sondern entwickelte mit den Kurator *innen Hedwig Saxenhuber und Christian Kravagna den Rahmen für ein Kunstprogramm, abgestimmt auf die Gegebenheiten eines spezifischen Ortes. Angesiedelt im Lakeside Science & Technology Park, versteht sich der Kunstraum als „kuratorische Begleitung eines ambitionierten Wirt-schafts- und Forschungsprojekts, dessen innovative Potenziale in ein Spannungsverhältnis zu künstlerischen Forschungen und Analysen gesetzt werden“ und das sich „kontextbezogen in Funktionsbestimmung, Struktur und Betrieb des Wissenschafts- und Technologieparks“13 involviert. 07 Josef Dabernig, Gestaltung des Kunstraum Lakeside, 2005, Installationsansicht, Kunstraum Lakeside, Klagenfurt, Foto: Johannes Puch Mit dem von Dabernig entworfenen oder ausgewählten Mobiliar, mit der technischen Ausstattung und mit Zeigevorrichtungen wie mobilen Wandoder Regalsystemen definierte der Künstler die Bedingungen und Möglichkeiten des Ausstellungsraums. In Beige und Grau passt sich der Kunstraum an unterschiedlichste Veranstaltungsformate an der Schnittstelle von Technologie, Wirtschaft und Kunst immer wieder neu an. 08 Stefan Riebel, Performing an Artspace, 2020, Performance mit Studierenden der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig: Leon Galli, Frida Zack, Franziska Pätzold, Shuangshuang Liao, SeungLok Paik, Felix Almes, Yannick Harter, Lydia Marx, Lisa Kirchhoff, Tobias Fabek, Kunstraum Lakeside, Klagenfurt, Foto: Johannes Puch Mit „Gestaltung des Kunstraum Lakeside“ verfolgte Josef Dabernig eine doppelte Strategie: Er richtete einen funktionalen Kunstraum ein, indem er das Projekt jedoch nicht als White Cube inszenierte, sondern als Modul eines wirtschaftsnahen Technologieparks beließ und dies gestalterisch geradezu überaffirmierte, geht er nicht nur auf Distanz zur Trägerinstitution, sondern auch zur eigenen künstlerischen Praxis. Dem Philosophen Gerald Raunig zufolge lassen sich Handlungsfelder, die gleichzeitig Strategien von Involvierung und Selbsthinterfragung bedienen, als „instituierende Praxen“ beschreiben. Es handelt sich dabei um Arbeitsweisen, „die radikale Gesellschaftskritik üben und die sich dennoch nicht in der imaginierten absoluten Distanz zu den Institutionen gefallen; zugleich Praxen, die selbstkritisch sind und sich dennoch nicht krampfhaft klammern an ihre Verstricktheit, ihre Komplizität, ihr Gefangenendasein im Kunstfeld, ihre Fixierung auf die Institutionen und die Institution, ihr eigenes Insti-tution-Sein.“14 Seit Eröffnung des Kunstraums wird der gesellschaftliche Rahmen der Schnittmenge von Technologie, Wirtschaft und Kunst regelmäßig imund durch den Raum zur Disposition gestellt: Zuletzt etwa wenn Künstler wie Stefan Riebel [siehe Interview auf S. 74] mit „Performing an Artspace“ (2020) [08] in einer Serie performativer Eingriffe die spezifischen Funktionsweisen des Kunstraums als „Kunstraum“ testet und so das eigenen Handeln, das Ausstellen, ins Bild rückt. … ALS VERSAMMELN Zusammenkünfte in Form eines symbolischen Begräbnisses, einer Regierungssitzung angesichts einer existentiellen Bedrohung, einer Séance, in der Sigmund Freud und Theodor Herzl aufgefordert werden, Antworten zu geben oder für immer aus unserem Gedächtnis zu verschwinden: Yael Bartana bringt Menschen im Rahmen von Erzählungen zusammen, die auf fiktiven wie tatsächlichen Begebenheiten beruhen und verwendet eine Reihe ästhetischer Register, um Momente, die weit auseinanderliegen, kurzzuschließen. Dabei schafft sie über einzelne Werke und Präsentationen hinausgehende Zusammenhänge. So beruht ihr jüngster Film „The Undertaker“ (2019) auf der Performance „Bury Our Weapons, Not Our Bodies!“ (2018) und inkludiert als politische Führerin jene fiktive Präsidentin, die auch in „What If Women Ruled the World“ (2017) [09] zu sehen war. Bartanas Interesse kreist in diesem wie auch in anderen Werkkomplexen um die Frage, wie Menschen zusammenkommen können, um Alternativen zum gesellschaftlichen Status Quo zu entwerfen. Wiederholt von ihr verwendete Bilder von Menschen, die sich rund um einen Tisch oder in Kreisform versammeln, erinnern daran, wie Entscheidungen gefällt werden, die uns alle betreffen. 09 Yael Bartana, What if Women Ruled the World?, 2017, Performance Manchester International Festival, European Capital of Culture Aarhus 2017 und Volksbühne Berlin, 120 Min., Foto: Birgit Kaulfuss, Courtesy: Volksbühne Berlin Bartana verwendet damit einen Topos, der im Zentrum der von Bruno Latour und Peter Weibel kuratierten Ausstellung „Making Things Public. Atmospheres of Democracy“ (ZKM 2005) stand. Aufbauend auf die gemeinsame Herkunft der Bezeichnungen in europäischen Sprachen für „Gegenstand“ und eine „Versammlung“, die der Rechtsprechung dient – dem „Thing“ oder „Ding“ –, stellt Bruno Latour fest: „Einerseits ist ein Ding ein Objekt da draußen, andererseits ein Anliegen da drinnen, in jedem Fall ein Versammeln. […D]asselbe Wort Ding bezeichnet matters of fact, Tatsachen, und matters of concern, Dinge, die uns angehen.“15 Die Ausstellung war der Versuch, zwei unterschiedliche Bedeutungen von Repräsentation zusammenzuführen: Repräsentation im Sinne einer politischen Legitimierung, um Anliegen zur Sprache zu bringen, und Repräsentation im Sinne der genauen Darstellbarkeit dieser Anliegen. „Die erste Frage zeichnet eine Art Ort, manchmal einen Kreis, den man eine Versammlung, ein Treffen, eine Zusammenkunft, eine Sitzung, einen Rat nennen könnte; die zweite Frage bringt in diesen neu geschaffenen Ort ein Thema, ein Anliegen, eine Frage, einen Topos. Aber beides muss zusammengenommen werden: Wer soll betroffen sein; was ist zu berücksichtigen?“16 10 Yael Bartana, R.I.P. AK47, 2019, Foto: Jens Ziehe, Courtesy: Capitain Petzel, Berlin Yael Bartana verfolgt mit ihren Projekten vergleichbare Fragen, wobei sie die Debatte in Richtung Vergangenheit und Zukunft öffnet. So laden Präsentationen von fossilierten Waffen in musealen Vitrinen dazu ein, darüber zu spekulieren, wie in der Zukunft auf die Gegenwart geblickt werden könnte, wenn etwa das von Bartana für „The Undertaker“ (2019) [10] entworfene Szenario tatsächlich eingetreten sein wird. Der Ort, an dem dies geschieht, könnte ein Museum sein, also jene Institution, die immer schon den Anspruch erhob, Dinge aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten zu (ver-)sammeln. … ALS ZIRKULIEREN Was Hito Steyerl als „Zirkulationismus“ bezeichnet, den postdigitalen Zustand, in dem es nicht mehr darum geht, Bilder herzustellen, sondern sie „zu postproduzieren, zu lancieren und zu beschleunigen“,17 ist beim US-amerikanischen Künstler Seth Price theoretischer wie praktischer Kontext. In beiden Fällen handelt es sich um ein Ausstellen im öffentlichen (massenmedialen) Raum. Price veröffentlichte 2002 den Essay „Dispersion“, in dem er die Veränderungen im Kunstschaffen untersucht, die mit der Popularisierung digitaler Technologie einhergingen in diversen Formaten – als Buch, als frei im Netz zirkulierendes PDF und nicht zuletzt als skulpturale Arbeit unter dem Titel „Essay With Knots“ (2008) [12]. Das Werk existiert in unterschiedlichen Zusammenhängen und durch diese, wobei das Zirkulieren in ökonomischen Sphären wie Buchmarkt, Internet und Ausstellungsraum zum eigentlichen künstlerischen Gegenstand wird. 11 Mark Leckey, UniAddDumThs, Blick auf „Maschine“, Installationsansicht: Kunsthalle Basel, 2015, Foto: Philipp Hänger Über Produktion und Verbreitung von Informationen im Digitalen schreibt Price: „Das Problem besteht darin, dass die Verortung des Werkes an einem singulären Punkt in Raum und Zeit es a priori zu einem Denkmal macht. Was, wenn es stattdessen zerstreut und reproduziert wird, wobei sein Wert mit zunehmender Zugänglichkeit gegen Null tendiert? Wir sollten anerkennen, dass die kollektive Erfahrung heute auf gleichzeitigen privaten Erfahrungen beruht, die über den Bereich der Medienkultur verteilt sind und durch laufende Debatten, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Diskussion zusammengehalten werden. Öffentlichkeit hat heute ebenso viel mit Produktions- und Reproduktionsstätten zu tun wie mit vermeintlichen physischen Gemeingütern, sodass ein populäres Album als erfolgreicheres Beispiel öffentlicher Kunst betrachtet werden könnte als ein auf einem städtischen Platz verstecktes Monument. Das Album ist überall erhältlich, denn es bedient sich der Mechanismen des Kapitalismus des freien Marktes, des bisher ausgeklügeltsten Vertriebssystems der Geschichte.“18 12 Seth Price, Essay with Knots, 2008, Installations ansicht, Kunsthalle Zürich, 2008, Foto: Stefan Altenburger Photography Neben aktuellen Beispielen wie Manuel Rossners „Surprisingly This Rather Works“ (2020) [13], ein virtuelle Ausstellung, in der sich Besucher via App durch die König Galerie in Berlin bewegen und selbst Teil des Zirkulierens werden, zeigte der Brite Mark Leckey mit „The Universal Addressability of Dumb Things“ (2013) eine Ausstellung, die sich zwischen analoger und digitaler Sphäre bewegte. In dieser Wanderausstellung der Hayward Gallery präsentierte der Künstler unzählige kunsthistorische, alltagskulturelle oder sonstige Artefakte. [11] Die Objekte waren Teil einer Sammlung von Bildern aus dem Netz, die Leckey jahrelang auf seiner Festplatte abgelegt hatte. Für die Ausstellung aktivierte er die Bildsammlung, indem er die abgebildeten Gegenstände in den Ausstellungsraum holte. In der Schau materialisierten sich die digitalen Daten und formierten sich zu Einheiten, ähnlich wie sie im Computer in Ordnern gespeichert waren. Die dreidimensionalen Gegenstände machten einen Umweg über das zweidimensionale Bild im virtuellen Raum, bevor sie als Exponate einer Ausstellung neuerlich dreidimensional wurden. Heute existieren sie als Ausstellungsansichten und zirkulieren in jenen sozialen Netzwerken, in denen sie der Künstler einst gefunden hat. 13 Manuel Rossner, Surprisingly This Rather Works, Ausstellungsansicht ( Außenraum), König Galerie, 2020, Im Bild: Suprisingly Bubbles, 30 × 30 × 37 m, digitales Objekt, Foto: Manuel Rossner, Courtesy: König Galerie … ALS ZUSAMMENWIRKEN VON DINGEN Der Wissenschaftstheoretiker Alfred Nordmann nimmt Wittgensteins „als Ding unter Dingen ist jedes Ding gleich unbedeutend, als Welt jedes gleichbedeutend“ zum Ausgangspunkt, um über die Organisation von Gegenständen nachzudenken und anhand eines Uhrwerks zu exemplifizieren: „Wenn sie im Uhrwerk zusammenwirken, sind alle Zahnräder, Federn, Schrauben gleichbedeutend, weil gleich notwendig, um den Wirkzusammenhang zu gewährleisten, der eine Welt ausmacht. Außerhalb der Welt des Werks oder des Wirkzusammenhangs sind alle Dinge gleich unbedeutend, eine bloße Ansammlung oder ein Durcheinander von auf dem Tisch und in Schubladen zerstreuten Zahnrädern, Federn, Schrauben. […] In einem Werk, so ließe sich definieren, bringen Menschen die Dinge dazu, zusammenzuwirken“.19 Ein Werk kann nach Nordmann vieles sein, was sich dem Willen von Menschen verdankt – ein Experiment, ein Ritual, ein Musikstück. Damit diese Zusammenfügungen gelingen, bedarf es einer besonderen Form des Wissens, eines Werkwissens, das im Tun entsteht, wenn es mit einer Haltung der Sachlichkeit einhergeht. Anhand einer Figur aus einem Film von Alexander Kluge erklärt Nordmann, was er unter einer sachlichen Herangehensweise versteht: Ein Maschinist berichtet im Film davon, dass man eine Schraube nur „mit viel Gefühl“ schrauben kann: „Macht man sie zu fest, dann wird sie überspannt, macht man sie zu locker, dann löst sie sich und die Mutter geht verloren.“20 Sachlichkeit prüft, so Nordmann „menschliche Werke darauf, […] ob die Dinge aufeinander abgestimmt sind, es erkundet Formen des Gelingens. […] Im gelungenen Werk wirken die Dinge so zusammen, dass ihr Zusammenhang keiner Prüfung mehr bedarf.“21 Beispiel für die offensichtliche Sinnfälligkeit von Zusammenstellungen ist die Serie „Sloane’s Agony“ (seit 2011) von Edith Payer. Die Künstlerin sammelt unbedeutende Dinge – Weggeworfenes, Kaputtes, Verlorenes oder natürliche Fundstücke – und bewahrt sie über Jahre sorgsam auf. Aus ihrem umfangreichen Fundus wählt sie einzelne Stücke aus und fixiert sie gleich einer Insektenkundlerin mit Stahlnadeln in Schaukästen. Während sich die Ordnungsprinzipien der aus naturhistorischen Sammlungen bekannten Schaukästen bei genauer Betrachtung erschließen, liegen diese bei den Anordnungen von „Sloane’s Agony“ nicht auf der Hand [14]. Payer zwingt das von ihr Gefundene nicht in ein übergeordnetes Schema, sondern lässt den Dingen ihren Raum. Da sie aber keine willkürliche Anhäufung präsentiert, sondern eine Ordnung, deren Sinn sich entzieht, richtet sich der Blick darauf, was zwischen den Dingen passiert, wenn sie, in einen Rahmen gestellt, also ausgestellt, zusammenwirken. … ALS FORSCHEN 14 Edith Payer, Sloane’s Agony, seit 2011, Ausstellungs ansicht: Supermarket Independent Art Fair, Stockholm, 2013, Courtesy: Künstlerin Fallen Ausstellen und Forschen in eins, beinhaltet der Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen zufolge eine Ausstellung nicht mehr nur epistemische Dinge, „sondern ist selbst ein epistemisches Ding“.22 Die Annahme, dass Forschung nicht nur vor einer Ausstellung kommt, sondern sich auch durch eine solche realisiert, teilt auch Kurator Simon Sheikh. Er unterscheidet zwei Modelle der Recherche: „Während recherché vor allem im Sinne journalistischer Forschung zu verstehen ist, impliziert forschung ein wissenschaftliches Forschungsmodell und damit ein ganz anderes Verhältnis zu Subjekten und Objekten. Wenn der Journalismus sich als Bestreben versteht, die Wahrheit aufzudecken, indem er die Fakten betrachtet und so aus dem, was er findet, eine Geschichte oder das konstruiert, was wir einen Diskurs nennen können, dann arbeitet die Wissenschaft grundsätzlich und traditionell in die entgegengesetzte Richtung – also vom Diskurs zu den Objekten.“ Sheikh rückt die Möglichkeit, anhand von konkreten Untersuchungsobjekten Hypothesen und Thesen zu verifizieren in den Vordergrund und damit die Rolle derjenigen, die die Anordnung der Objekte überprüfen: „Eine These kann je nach den Ergebnissen der Forschung bewiesen, verworfen oder modifiziert werden.“

Das Projekt „originalcopy – Postdigitale Strategien der Aneignung“ lotete die Möglichkeiten des Ausstellens als künstlerisch-kuratorische Forschungsmethode aus.24 Die Fragestellungen dreier Ausstellungen in Innsbruck, Wien und Brüssel lauteten, wie postdigitale Methoden des Kopierens künstlerisch produktiv gemacht werden können, um dieselben Methoden mit künstlerischen Mitteln zu befragen: Ist es möglich, eine Methodologie gegenwärtiger Kopierpraktiken zu entwerfen, indem ein Kopierprozess in Gang gesetzt wird, der sich seiner bewusst bleibt? Wie kann eine solche Denkschleife im Kopieren Erkenntnisse über das Phänomen bringen? … ALS AGGREGIEREN „The Next Biennial Should Be Curated By A Machine“ hieß es Ende 2019 in einer e-flux-Ankündigung. Mit Referenz auf „The Next Documenta Should Be Curated By An Artist“, der nahezu gleichlautenden Aussendung von 2003, fragt die Liverpool Biennale 2020 gemeinsam mit dem Künstlerduo UBERMORGEN, Leonardo Impett und der Kuratorin Joasia Krysa, wie Ausstellungen aussehen, wenn Maschinen der unüberschaubaren Menge an Daten über Kunst Sinn geben – wenn sie kuratieren. Die Ankündigung auf e-flux zu lancieren, eigenen Angaben zufolge Publikations- und kuratorische Plattform, Künstler *innenprojekt und Unternehmen, ist nur folgerichtig: Denn e-flux definieren durch den endlosen Informationsfluss den Geschmack im globalen Kunstbetrieb. Hier kommen täglich Ausstellungen, Performances oder Biennalen zusammen, deren Zusammengehörigkeit sich lediglich aus ihrem Erscheinen auf der gleichen Plattform erklärt. Solche Praktiken des Nebeneinanders (im World Wide Web und darüber hinaus) versteht David Joselit als aggregierende Operation: „Aggregate liefern Plattformen, auf denen halbautonome Elemente zusammenkommen. Da diese nicht in eine zusammenhängende Struktur integriert sind (sei es Komposition, Konstruktion oder Non-Komposition), sondern ihre konzeptuelle Uneinheitlichkeit eher noch betont wird, werfen Aggregate immer die Frage nach dem Gemeinsamen auf. Das Aggregat unterscheidet sich von zwei seiner engen modernistischen Verwandten: Montage und Archiv. In der Montage werden individuelle Elemente einer übergeordneten Kompositionslogik subsumiert; selbst wenn die Quelle ihrer einzelnen Elemente offensichtlich bleibt, verlieren diese Komponenten normalerweise die entwaffnende Eigenschaft der Unabhängigkeit, die so charakteristisch ist für das Aggregat, das ständig Gefahr läuft auseinanderzubrechen. Das Auswahlprinzip des Archivs ist inklusiv in Bezug auf Thema, Institution, Epoche und Ereignis. Das Archiv dient der Sammlung, Aufbewahrung und Zusammenstellung von Belegen als Grundpfeiler epistemologischer Stabilität. Aggregate gehen dagegen von einem unklaren Auswahlprinzip aus und provozieren typischerweise Konfrontationen zwischen einem ganzen Spektrum an Objekten, die grundverschiedene Werte und Epistemologien verkörpern.“

… ALS MONTIEREN 18 Willem De Rooij, Intolerance, 2010 / 2011, Ausstellungsansicht: Neue Nationalgalerie, Foto: Jens Ziehe, Courtesy: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie Willem de Rooijs Installation „Intolerance“ (2010) in der Neuen Nationalgalerie Berlin umfasste laut Exponatenliste achtzehn Vogelbilder des niederländischen Malers Melchior d’Hondecoeter (1636 – 1695), elf hawaiianischen Federobjekte aus dem 18. Jahrhundert, Elemente zur Regulierung des Tageslichts, eine temporäre Trenn- und eine temporäre Ausstellungswand. Darüber hinaus erweitert eine dreibändige Publikation den räumlichen wie zeitlichen Rahmen des Werks: Ein Band befasst sich mit dem Œuvre d’Hondecoeters, der mehr als 40 Jahre lang Vögel aller Kontinente malte. Ein weiterer Band fungiert als „Catalogue Raissonné of pre-1900 Feathered-God Images, Cloaks, Capes, Helmets“. Und der dritte Band dokumentiert und kommentiert „Intolerance“. [18] Die Publikation geht zwar auf die Bedeutung des Kolonialismus und die jeweilige Organisation der Gesellschaften in den Niederlande und in Hawai’i im 17. und 18. Jahrhundert ein, jedoch ohne darüber hinaus direkte Verknüpfungen zwischen den weit auseinanderliegenden Gebieten herzustellen. In der Ausstellung selbst gab es kaum Informationen zu den kostbaren Exponaten. Nebeneinander ausgestellt und aus ihren historischen wie gegenwärtigen Zusammenhängen gelöst, werden sie in ihrer Selbstverständlichkeit fragwürdig, ohne innerhalb eines neuen Ganzen als eindeutige Zeichen oder Chiffren zu fugieren. De Rooij bezeichnete die Gemälde von d’Hondecoeter als „Sinnbilder“ für einige Installationen, die er mit Werken von Isa Genzken und Keren Cytter oder mit Modekreationen von Fong-Leng, realisierte: „Diese Bilder von sehr unterschiedlichen Arten von Vögeln, die im selben Bilderrahmen um den Raum kämpfen – für mich spiegeln sie die Idee wider, dass verschiedene heterogene Elemente zusammenkommen, sowohl auf bildliche als auch auf konzeptuelle Weise.“

Juliane Rebentisch kontextualisiert de Roojs Aneignen und Zeigen von eigenständigen Kunstwerken und zeremoniellen Objekten innerhalb der Geschichte der Montage, wobei sie auch die Präsentation „buchstäblich objekthafter“ Werke (Minimal Art, Readymades) in ihre Überlegungen einbezieht: „An die Stelle der qua gestaltender Zusammenhangbildung zu leistenden Aufhebung der materialen Elemente eines Kunstwerks in die Identität der Form, tritt hier die nicht-relationale Faktizität von Objekten, die bereits Form sind. Auf dieser Stufe heißt Zusammenhangbildung nicht mehr umformende Integration der einzelnen Elemente in die Form (und damit zugleich: Unterordnung der Teile unter das Ganze). In die Elemente wird nicht mehr eingegriffen, vielmehr werden sie in Konstellationen gerückt. Dem entspricht nicht mehr die Identität eines Produkts (Collage), sondern die Offenheit eines Verfahrens: Montage.“28 Rebentisch sieht in der „Destruktion eines einheitlichen Sinnzusammenhangs“ und der damit verbundenen „Zerschlagung […] der Möglichkeit, das Werk in der Kontinuität eines einheitlichen Erlebnisstroms zu konsumieren“ etwas Grundlegendes der Montage. Durch die große Differenz zwischen den präsentierten Objektgruppen, bleiben diese, so die Autorin, „in gewisser Weise resistent, wenn nicht allergisch, intolerant, gegenüber einer Rezeptionshaltung, die sie auch inhaltlich auf eine Ebene zu ziehen versucht, die formal als dekoratives Tableau angeboten wird.“29

… AS CURATORS DO? „Der Kurator ist der Messdiener.“ So beantwortet das Künstlerkollektiv Gelitin die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen Kurator *innen und Künstler *innen. Doch wie verhält es sich, wenn Künstler *innen die Aufgaben von Kurator *innen übernehmen? Vor allem dann, wenn sie nicht nur das Ausstellen in präzisen Setzungen thematisieren, sondern die Zusammenstellung großer Schauen übernehmen? Wenn Christian Jankowksi unter dem Titel „What People Do For Money“ (2016) die Manifesta 11 in Zürich kuratiert [19]; wenn DIS (Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso, David Toro) die 9. Berlin-Biennale 2016 in die digitale Gegenwart holen [20]; wenn Elmgreen & Dragset die 15. Istanbul-Biennale (2017) [21] oder wenn Slavs and Tatars die 33. Grafik-Biennale Ljubljana (2019) zusammenstellen? Oder wenn das indonesische Kollektiv ruangrupa die kommende documenta 15 (2022) als gemeinschaftlichen Prozess anlegt? 19 Olaf Metzel, Sammelstelle, 1992 / 2017, Installationsansicht: 15. Istanbul Biennale, Galata Greek Primary School, Foto: Sahir Ugur Eren Dass globale Kunstveranstaltungen für das Kuratieren ihrer Formate vermehrt auf Künstler *innen setzen, legt nahe, dass nicht die Rollenverteilung ausschlaggebend ist, sondern die zahlreichen Methoden und Strategien des Ausstellens.30 Das heißt, es gilt den Blick darauf zu richten, wie sich eine spezifische Praxis gestaltet und nicht von wem sie ausgeübt wird. Der Kurator Simon Sheikh beschreibt dies als einen „postkuratorischen“ Zugang zum Ausstellen, der „aus situativem und, noch wichtiger, verkörpertem Wissen“ besteht. Ein Wissen, das „nicht so sehr durch Argumente und Gegenargumente bzw. durch Analyse und Synthese hinterfragt [wird], sondern durch Performance und Aktualisierung und indem man die Behauptungen, Ideen und Vorschläge aus kuratorischen Diskursen in der Praxis, innerhalb des sozialen Gefüges von Ausstellungsräumen und Bildungsinstitutionen selbst […] auf den Prüfstand stellt.“31 In dieselbe Kerbe schlägt auch die Kuratorin Chus Martínez, wenn sie fürs Tun jenseits etablierter Zuschreibungen und Abgrenzungen plädiert. Mit Rückgriff auf Vilém Flusser spricht sie davon, dass wir das „Buch […] hinter uns lassen müssen; das heißt die Linearität der Präsentation und Erklärung von Kunst, ihre Innen-Außen-Logik“. Martínez ist „überzeugt, dass ‚Präsentieren‘ – wenn man so will, das Kuratieren mit all seinen Schönheiten und Schrecken, seiner Strenge und Bescheidenheit – den richtigen Weg darstellt, die ‚buchartige‘ Präsentation in Zweifel zu ziehen. Sich dem Hybriden zu stellen, ist ein erster Schritt zu Veränderung.“32 Und damit ließe sich wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren, zu Friedrich Kiesler, der seine Ausstellungsarchitektur „Raumstadt“ Mitte der 1920er-Jahre sowohl als Display und Ausstellungssystem wie auch als Denkmodell und Demonstrationsobjekt verstanden hat. Der Architekt, Designer, Bühnenbildner und nicht zuletzt Künstler hat sich nicht für das eine und gegen das andere entschieden, sondern bewußt Mehrdeutigkeit in den Raum gestellt. Artikel aus dem KUNSTFORUM, BAND 270

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Ausstellen als künstlerische Praxis




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